Einmal über den Ural und zurück

Eigentlich habe ich meine festen Grundsätze, wenn ich auf einen meiner gnadenlos eng getakteten Reisen gehe: Flugplatz nicht vor zehn, Autobahn nicht nach zwei, Jetlag überhaupt nicht, stattdessen ein Paket Schwarzbrot im Koffer – gegen das Heimweh und für die Kraft in der kleinen Oktave. Es sind nur wenige Regeln, denen ich mich freiwillig unterwerfe, aber sie sind mir heilig, ein notwendiger Luxus sozusagen, der mir garantiert, dass ich auch nach langen Fahrten und einem Arbeitspensum von bis zu drei Konzerten pro Tag jederzeit einsatzfähig bleibe. Aber nun habe ich sie alle auf einmal mit Füßen getreten, meine liebgewordenen Wegbegleiter – und das ausgerechnet zu einer Jahreszeit, in der alle Welt seine guten Vorsätze hätschelt und ich alljährlich von einer Woche Urlaub am Strand träume, den ich aber tatsächlich nie antrete, weil sich irgendwie immer etwas interessanteres ergibt.

Schuld an allem ist genau genommen das Rathaus von Kazan, das mir mit seiner Fassade im Stil der Neorenaissance sogleich gefallen hat, als ich auf die Schnelle über Google Images ergründen wollte, woher die Einladung kam, die mich und meinen Duo-Partner Aivars Kalejs mitten im Januar dorthin bringen sollte, wo der Ural Europa von Asien trennt.

Kazan, das klang verheißungsvoll nach Tausendundeiner Nacht und Tatarstan, die dazugehörige Republik, die kannte irgendwie niemand wirklich, außer dem Team der Deutschen Botschaft in Riga, denn das kennt schon von Amts wegen alles und konnte mir sofort erzählen, dass Tatarstan eine der autonomen Republiken in der russischen Föderation ist, die bei nur knapp vier Millionen Einwohnern 1700 Bibliotheken, 30 Hochschulen, 90 Museen und 12 professionelle Theater betreibt – ein Land der Superlative für jemanden, der wie ich zur Gattung der Kopffüßler zählt. Ich beschloss also, meinen Widerwillen gegen mehrfache Zeitzonensprünge und Schichtarbeit ausnahmsweise einmal zu verdrängen und mir diese wundersame Welt aus der Nähe anzusehen.

Neben dem Konzert in Kazan sollte es ein weiteres geben im neugebauten Opernhaus von Joschkar Ola, der Hauptstadt der Nachbarrepublik Mari El, und eh ich mich versah, waren wir auch noch in Jekaterinburg und in Tscheliabinsk auf der asiatischen Seite des Urals zur Einweihung von zwei Konzertsälen verabredet. Der Zeitplan war eng, weil alle vier Veranstaltungen in der zweiten Wochenhälfte stattfinden sollten und zusätzlich auf der Halbzeit der Ural überwunden werden musste. Aber ich war voller Zuversicht, dass alles gut zu schaffen sein würde, weil keins der Konzerte – bedingt durch die Zeitverschiebung von bis zu vier Stunden – am Abend begann und mein Flieger ganz gemütlich mittags von meiner Zweitheimat Berlin aus startete, wo ich vorher noch einmal in aller Ruhe im eigenen Bett ausschlafen konnte.







Der Kreml und die Skyline von Kazan – ein Wintermärchen in Pastell